Vor kurzem meldete sich Jannika, eine „Ehemalige“ nach 15 Jahren bei mir mit einem Brief über ihre Erfahrungen trotz ehemals massiver Rechenschwierigkeiten. Am Ende Ihres Briefes schreibt sie:„Dank Ihrer Unterstützung habe ich die Angst vor Zahlen und dem Rechnen verloren, ein mathematisches Verständnis und mehr Selbstvertrauen gewonnen und konnte so die zahlreichen Klausuren in der Schule, die Abiturprüfung in Mathe und die Statistikprüfung an der Uni bestehen. Dafür danke ich Ihnen von Herzen!“
„In meiner Grundschulzeit konnte ich Mathe nicht ausstehen, weil selbst die simpelsten Rechenaufgaben für mich unlogisch und unlösbar waren. Für mich war Mathe unverständlich, für mein Umfeld war unverständlich, warum ich es so gar nicht verstand. Mir kam es so vor, als gäbe es in meinem Kopf keine passende Abteilung für mathematisches Verständnis. Bei unzähligen Mathehausaufgaben saß ich weinend am Tisch, weil ich die Aufgaben beim besten Willen nicht verstand und an mir selbst zweifelte. Meine inzwischen entstandene Überzeugung, Mathe grundsätzlich nicht zu können, führte dazu, dass ich mich am Unterricht nie beteiligte aus Angst, das Falsche zu sagen….Irgendwann hasste ich nicht nur Mathe, sondern die ganze Schule. Dass selbst meine Mutter mit mir nicht weiter wusste und wir oft gemeinsam weinend über Matheaufgaben saßen, machte die Sache für mich nicht leichter….Dank des Einsatzes meiner Mutter dauerte es nicht allzu lange, bis ich getestet und bei mir eine Dyskalkulie festgestellt wurde. Und so führte mein Weg zu Ihnen.
Ich gebe ganz ehrlich zu, ich bin nicht immer mit Freude zu Ihnen in die Therapie gekommen. Schließlich musste ich mich dann nicht nur und er Schule und beiden Hausaufgaben, sondern auch noch in meiner Freizeit mit einem Bereich auseinandersetzen, der mich überforderte- Mathematik.
Aber mit Ihnen hatte ich jemand an meiner Seite, der mir unglaublich geduldig und verständnisvoll gegenübertrat. Das wohl Wichtigste aber für mich war, dass Sie an mich glaubten.Während alle anderen mit mir nicht mehr weiter zu wissen schienen und sich auch nicht in mich reinversetzen konnten, wussten Sie, was ich brauche und fingen mit mir nochmal ganz von vorne an, Gemeinsam bauten wir in meinem Kopf eine Abteilung für Mathematik auf, wenn auch eine vorerst kleine. Endlich hatte ich kleine Erfolgserlebnisse mit Zahlen und das Gespenst der Mathematik verlor immer mehr seinen Schrecken. Am Ende meiner Therapie sagten Sie mir etwas, das mir besonders in Erinnerung blieb. Vermutlich würde ich nicht plötzlich eine Mathegenie werden, aber das Abitur könnte ich durchaus schaffen.
Sie hatten Recht, ich bin wirklich kein Mathegenie geworden. Aber 2011 habe ich den Übergang von der Gesamtschule in die Oberschule geschafft und 2014 tatsächlich mein Abitur! Auch in meinem Studium begegne ich natürlich der Mathematik zuletzt in Form der großen Statistikklausur. 4 Vorlesungsstunden pro Woche, zwei Semester Prüfungsumfang und jedes Jahr mit einer hohen Durchfallquote. Aber inzwischen blicke ich so etwas sogar gelassener entgegen als meine Mutter, die nur entsetzt fragte, wie oft ich die Prüfung wiederholen dürfe. Ich habe stundenlang gelernt und muss auch heute noch viel Disziplin und Durchhaltevermögen beweisen.Doch letztlich bestand ich die Klausur unglaublich stolz mit einer Note von 1,3.
Letztes Jahr habe ich meinen Bachelor in Pädagogik und Soziologie abgeschlossen und mittlerweile meinen Master in Biodiversität und Umweltbildung begonnen. Die Grundschulzeit und die Herausforderungen der Dyskalkulie haben mich und meine Familie sehr geprägt. Ich bin dankbar, dass die Dyskalkulie schnell entdeckt, ich bald eine gute Therapie bekommen habe und später auch verständnisvolle Lehrer*innen begegnet bin. Es hat sich gelohnt, all den Fleiß aufzubringen….Ich kann mir immer noch sehr viel schönere Dinge vorstellen, als mich mit Mathematik zu beschäftigen.“
Der Briefschluss ist in der Einleitung vorweggenommen. Jannika hat zugestimmt, dass ich ihre Geschichte als Mutmacher veröffentliche. Die Inhalte ihrer Therapie sind in meinem Fach- und Elternbuch ausführlich beschrieben.
Klaus R. Zimmermann